Don Quixote und Sancho Pansa, wem ist das Paar kein Begriff, wem sind sie nicht vertraut aus frühester Kindheit, und wer von uns hat wirklich den Roman gelesen? Ich muss gestehen - ich las das Mammutwerk nicht leicht, ich arbeitete mich durch die vielen verwirrenden Geschichten und Episoden, die Don Quixote durchleidet und durchkämpft. Was mich an ihnen betraf, war immer die Person selbst, die Figur in ihrer Quintessenz sozusagen, die all diesem Wirrwarr Einheit und Sinn (Sinn im Unsinn) gibt, Don Quixote in seinem Wahn und Wahnsinn. Cervantes Geschichte von Don Quixote nachzuerzählen schien mir weder für Ballett geeignet noch wichtig. Mich bewegte die Idee, den Menschen, eine Figur wie Don Quixote zu zeichnen und ihren Traum und ihr Irren zu beleuchten.
Auch Richard Strauss' Musik hat eigentlich den Wahnsinn Don Quixotes zum Thema dessen Zerrissenheit; sie pendelt zwischen unglaublicher Lyrik und abrupten, dissonanten Brüchen, zwischen höchst poetischen, melodischen Phrasen und abgerissenen, misstönenden Fragmenten und banalen Geräuschen hin und her. Strauss benutzt eine Reihe realistischer Elemente in der Komposition. Zum Beispiel verwendet er eine Windmaschine und imitiert, was zu seiner Zeit ungewöhnlich und provokativ wirkte, lautmalerisch das Blöken einer Schafherde. Gerade dieser avantgardistische Aspekt seiner Musik, den wir heute rasch überhören, hat mich angeregt und die Wahl der Mitte! bestimmt. Auch meine choreografische Sprache pendelt zwischen kontroversen tänzerischen Formen, Ballettgesten und konkreten Bewegungen aus Alltag und Sport. Die Ebenen wechseln überraschend und unvermittelt, dem collagenartigen Aufbau der musikalischen Komposition entspricht die fast revuehafte Folge der Tanzsequenzen. Es ist faszinierend, wie in der Musik eine Episode sich übergangslos in die nächste verwandelt, wie eine musikalische Stimmung in die nächste umschlägt. Es ist wirklich wie ein Traum; man erlebt ein Geschehen, in dem die Bilder nahtlos wechseln, in dem man von einer Atmosphäre in die andere, von einer Sphäre in die andere versetzt wird ohne zu wissen, wie einem geschieht. Man ist da, aber man weiß nicht, wie man hingelangt ist. Die Einheit der Szenen liegt in der Person, die sie durchträumt. Die Einheit des Balletts liegt in den zwei Menschen, die in ihm träumen, zwei Charaktere von gegensätzlicher Natur und unterschiedlichem Naturell, Sancho Pansa und Don Quixote.
John Neumeier
Musik: Richard Strauss
Choreografie und Inszenierung: John Neumeier
Bühnenbild und Kostüme: Marco Arturo Marelli
PREMIERE:
Hamburg Ballett, Hamburg 18. Juli 1979
ORIGINALBESETZUNG:
Don Quixote: Max Midinet
Sancho: Roy Wierzbicki
Der Traum von Don Quixote: Ivan Liska
Dulcinea: Colleen Scott
Die Wahnsinnige: Beatrice Cordua
Sanchos Traum: Lynne Charles