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Ballett von John Neumeier

Seven Haiku of the Moon

Am japanischen Theater fasziniert mich die bezaubernde Schönheit seiner jahrhundertealten Schauspiele mit ihrer Fülle an poetischen Anspielungen und seinen langsamen, äußerst elegant wirkenden Tänzen. Schon früh machte mich mein wichtigster Lehrer, ein Jesuit, auf die fernöstliche Theater- und Tanzkunst aufmerksam. Seine Begeisterung übertrug sich auf mich und weckte in mir das Bedürfnis, Choreografien im Sinne einer Brücke zwischen Ost und West zu "bauen" – Fließende Welten als mögliche Übersetzungen kultureller Aneignungen.

John Neumeier


Musik: Arvo Pärt, Johann Sebastian Bach
Haiku: Basho, Buson, Issa, Shiki, Sodo
Choreografie, Bühnenbild und Lichtregie: John Neumeier
Kostüme: Yukiko Hanai

45 Minuten | keine Pause

URAUFFÜHRUNG:
The Tokyo Ballet, Tokio, 21. Juli 1989
PREMIERE IN HAMBURG:
Kostüme: John Neumeier
Hamburg Ballett, 13. Juni 2010

ORIGINALBESETZUNG:
The Moon: Kazuo Kimura
Contemplators of the Moon: Yukari Saito, Naoki Takagishi

GASTSPIEL:
2011 Baden-Baden

IM REPERTOIRE:
The Tokyo Ballet

[MEHR]
Das Haiku ist ein kurzes Gedicht, das im 17. Jahrhundert in Japan aufkam. Gegenstand der Dichtung sind die unterschiedlichen Charakteristiken der vier Jahreszeiten, die schöne Natur des Landes und der Reichtum der japanischen Sprache. Die lyrische Kurzform Haiku, ein Dreizeiler, besteht aus fünf-sieben-fünf, also aus 17 Silben. Das Haiku ist die kürzeste Gedichtform der Welt und drückt einen tiefen Sinn aus.

Die in "Seven Haiku of the Moon" verwendeten Gedichte sind allein dem Mond gewidmet. Sie wurden von prominenten Dichtern wie Basho, Buson, Issa, Shiki und Soda verfasst.

Es ist sicher unmöglich, ein Haiku zu tanzen. Aber ich glaube, es gibt eine Parallele zwischen dieser japanischen Poesieform und dem Tanz. Zunächst suggerieren beide Künste mehr als tatsächlich gesagt oder gezeigt wird. Und genau wie ein Haiku einen bestimmten Augenblick festhält, scharf beobachtet und konkrete Bilder zeichnet, um kosmische Einheiten zu generieren, so kann der Tanz die Wirklichkeit menschlicher Körper in Bewegung nutzen, um etwas Universelles oder Metaphysisches zu schaffen.

Fasziniert von dieser Beziehung zwischen den beiden Künsten habe ich eine Reihe "visueller Haiku" choreografiert, in denen ich Tanz, Musik und gesprochenen Text vereinte. Mein Ballett illustriert jedoch nicht den Inhalt des Haiku, das mich inspirierte, sondern schafft Bilder unabhängig von den Gedichten. Ähnlich wie die Haiku-Malerei ergibt die Kombination von Text und Bewegung einen Dialog, eine neue Form, die Einblicke eröffnet, welche weder Worte noch Tanz allein ausdrücken können, so wird die Bedeutung des Gedichts erweitert. Man könnte fragen: Sind die gesprochenen Haiku die Gedanken der Tänzer beim Betrachten des Mondes, oder sind die Tänze Visionen, die sich beim Hören der Haiku-Worte einstellen?

Die Musik Arvo Pärts schien ideal für die gekürzte, konzentrierte, zutiefst einfache Haiku-Form. Während meiner Vorbereitung hörte ich eine Sarabande von Pärt, die teilweise Bach zitierte. Ich war betroffen, nicht nur von der kalligrafischen Ähnlichkeit der Namen von Bach und dem berühmten Haiku-Dichter Basho, ich bemerkte auch, dass die beiden großen Künstler zur selben Zeit gelebt hatten (J. S. Bach 1685-1750, Basho 1644-1694) – also den selben Mond betrachtet hatten. Es schien mir richtig, etwas von J. S. Bachs Musik in das Ballett hineinzuweben.

Das Ballett erzählt keine besondere Geschichte, sondern regt viele an. Über die Jahreszeiten hinweg – von Herbst zu Herbst – vereinen Mondbilder die Tänzer. Der Mond, von "der Spiegelung des Nachthimmels" umrahmt, berührt seine Betrachter.

John Neumeier


HAIKU (Haikai)
[japanisch; humoristischer Vers, Posse].

Gattung der japanischen Dichtkunst; ursprünglich die 17silbige Anfangsstrophe eines Tanka, bestehend aus drei Versen zu 5 7 5 Silben. Diese Form der Poesie erreichte in der Tokugawa Zeit mit Basho ihren künstlerischen Höhepunkt, wird aber auch heute noch gepflegt. Besonders durch Basho erfolgte die thematische Abkehr vom Possenhaften. Buson, Josa und Issa setzten diese Tradition fort.

(Aus: Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Bibliographisches Institut. Mannheim/Wien/Zürich. 1973.)


Haiku und Musik

Spiegelungen des Nachthimmels
Musik: Johann Sebastian Bach
Andante aus der Sonate für Flöte und Basso continuo
BWV 1034

I
Was für ein roter Mond!
Und wem gehört er,
Kinder?
Issa
Musik: Arvo Pärt
"Arbos"

Sarabande des roten Mondes
Musik: Johann Sebastian Bach
Sarabande aus der Sonate für Flöte solo, BWV 1O13

II
In Mondnächten sehen sie aus
wie Menschen – und Vogelscheuchen
ringen uns dann Mitleid
Shiki
Musik: Arvo Pärt
"Perpetuum mobile" op. 10

III
Über Menschen, vier oder fünf,
beginnt der Mond unterzugehen –
der Kreis Tanz!
Buson
Musik: Arvo Pärt
Sarabande aus "Collage über B-A-C-H"

Spiegelungen des Nachthimmels
Musik: Johann Sebastian Bach
Sicilienne aus der Sonate für Flöte und Cembalo, BWV 1031

IV
Eisig der Mondschein;
Schatten eines Grabsteins,
Schatten einer Pinie.
Shiki
Musik: Arvo Pärt
"Dreiklangskonzert", 1. Satz

V
Auch Frühling, sehr bald!
Sie setzen ihn in Szene
Pflaumenbaum und Mond.
Bashô
Musik: Arvo Pärt
"Dreiklangskonzert", 2. Satz

VI
Meine zankende Frau
wäre sie doch hier heute nacht...
Dieser Mond
Issa
Musik: Arvo Pärt
"Dreiklangskonzert", 3. Satz

VII
Mich leitend
geht mein Schatten nach Hause
vom Betrachten des Monde
Sodô
Musik: Arvo Pärt
"Cantus in Memory of Benjamin Britten"

Wenn Glockentöne verklingen
übernehmen Blütendüfte das Läuten –
Abendschatten!

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